In Organisationen wird oft grossen Wert auf eine positive Grundhaltung gelegt. Teams sollen motiviert sein, Führungskräfte sollen Zuversicht ausstrahlen, die Stimmung soll konstruktiv bleiben. Diese Ansprüche sind nachvollziehbar, denn ein gewisser Optimismus hilft, Belastungen zu bewältigen und Veränderungen zu tragen. Doch in Konfliktsituationen kann eine falsch verstandene Positivität mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Toxische Positivität entsteht, wenn negative Emotionen nicht als Teil der Realität akzeptiert, sondern unterdrückt oder bagatellisiert werden. Sätze wie «Wir sollten uns auf das Positive konzentrieren» oder «Beschweren bringt uns nicht weiter» mögen wohlmeinend sein, aber sie senden eine klare Botschaft: Unangenehme Gefühle und kritische Themen sind hier nicht erwünscht! Wer sich ärgert, sorgt, zweifelt oder Kritik äussert, wird subtil in die Rolle des Störenden gedrängt. Dadurch wird echter Dialog blockiert, wichtige Themen bleiben unbearbeitet, Spannungen schwelen weiter.
Gerade im Konfliktmanagement ist diese Haltung fatal. Konflikte entstehen, weil Menschen unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse oder Wahrnehmungen haben. Diese Unterschiede lassen sich nicht wegdiskutieren und auch nicht durch ein gemeinsames Lächeln auflösen. Sie müssen benannt, verstanden und bearbeitet werden. Wer beginnende Konflikte unter einer Decke aus Optimismus zudeckt, schafft keine Einigkeit, sondern verzögert die Eskalation. Unterdrückte Emotionen verschwinden nicht, sie verlagern sich ins Unsichtbare, stören die Zusammenarbeit und zerstören auf mittlere Sicht das Vertrauen.
In vielen Unternehmen sind die Auswirkungen toxischer Positivität spürbar. Mitarbeitende ziehen sich zurück, weil sie merken, dass kritische Gedanken keinen Platz haben. Teams verlieren an Offenheit und Innovationskraft, weil nicht mehr über Probleme gesprochen wird, sondern nur noch über Chancen und Möglichkeiten. Führungskräfte erleben scheinbar motivierte Meetings, während im Hintergrund stille Resignation wächst. Die psychologische Sicherheit, die Grundlage jeder funktionierenden Zusammenarbeit, geht verloren.
Konflikte brauchen eine andere Haltung. Sie brauchen Führungskräfte und Teammitglieder, die bereit sind, unangenehme Emotionen auszuhalten. Sie brauchen Räume, in denen Sorgen, Ärger oder Enttäuschung geäussert werden dürfen, ohne dass sie sofort relativiert oder ins Positive umgebogen werden. Sie brauchen den Mut, der darin besteht, echte Gefühle zuzulassen, auch wenn sie schwer auszuhalten sind. Erst wenn die unterschiedlichen Sichtweisen offen auf dem Tisch liegen, kann gemeinsame Entwicklung entstehen.
Professionelles Konfliktmanagement bedeutet deshalb nicht, Konflikte möglichst schnell zu beenden oder negative Emotionen zu überspielen. Es bedeutet, sie ernst zu nehmen, sie in ihrer Tiefe zu verstehen und auf dieser Basis tragfähige Lösungen zu entwickeln. Diese Lösungen sind nicht immer sofort verfügbar, sie brauchen Zeit und Dialogbereitschaft. Aber sie sind stabiler, ehrlicher und nachhaltiger als jede kurzfristige Harmoniebekundung.
Echte Zusammenarbeit wächst nicht durch erzwungene Positivität, sondern durch Vertrauen, das entsteht, wenn auch schwierige Themen ausgesprochen werden dürfen. Organisationen, die diesen Mut aufbringen, schaffen nicht nur robustere Teams, sondern auch eine Unternehmenskultur, die Veränderungen tragen kann, ohne an inneren Spannungen zu zerbrechen.