Die kommerzielle PR im Wandel: Herausforderungen und Strategien im Umgang mit einem veränderten Kommunikationsumfeld

Die Public Relations-Branche sieht sich aktuell einem fundamentalen Transformationsprozess gegenüber. Gesellschaftliche Erwartungen, technologische Fortschritte und strukturelle Verschiebungen im Mediensystem fordern von Kommunikationsverantwortlichen eine grundlegende Neupositionierung. Statt primär Botschaften zu verbreiten, wird zunehmend erwartet, dass PR einen substanziellen Beitrag zur gesellschaftlichen Verständigung leistet, glaubwürdig, dialogorientiert und strategisch eingebettet. Mit acht beispielhaften Herausforderungen möchte ich den Handlungsdruck verdeutlichen und biete zugleich Ansatzpunkte für zukunftsorientierte Lösungen. 

1.     Glaubwürdigkeit als zentrale Ressource 
Glaubwürdigkeit lässt sich nicht herstellen, sie muss entstehen und zwar aus dem Handeln heraus. Der Verdacht des Green- oder Purpose-Washings steht schnell im Raum, wenn kommunikative Positionierungen nicht mit der Realität des Unternehmens übereinstimmen.  

Unternehmen wie Johnson & Johnson haben bereits früh demonstriert, wie durch konsequente Transparenz Vertrauen zurückgewonnen werden kann: In der Tylenol-Krise von 1982 entschied sich das Unternehmen trotz externer Sabotage für einen vollständigen Produktrückruf, intensive Öffentlichkeitsarbeit und die Einführung manipulationssicherer Verpackungen. Ein Vorgehen, das bis heute als Vorbild gilt.  

Obwohl dieser Fall über 40 Jahre zurückliegt, wird er in Kommunikations- und Managementausbildungen weltweit noch gelehrt, weil er prinzipielle Fragen von Verantwortung, Markenführung und Glaubwürdigkeit adressiert. Entscheidend ist, dass PR nicht als isolierte Funktion, sondern als Spiegel unternehmerischer Integrität verstanden wird. 

2.     Aufmerksamkeit gezielt und verantwortungsvoll steuern 
In einer fragmentierten Medienlandschaft wird die Sichtbarkeit von Inhalten zunehmend durch bezahlte Formate bestimmt. Die Herausforderung für PR liegt darin, Relevanz zu erzeugen, ohne in reine Werbelogik abzugleiten.  

Ein Beispiel dafür liefert die niederländische Fahrradmarke VanMoof: Mit einem TV-Spot, der automobile Umweltbelastung kritisch inszenierte, provozierte sie nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch einen Werbestopp durch französische Behörden! Der wiederum wurde gezielt als Teil der Kommunikationsstrategie genutzt. Die dahinterliegende Botschaft – nachhaltige Mobilität als Alternative – blieb dabei stets im Zentrum. Provokation allein reicht nicht, doch kombiniert mit inhaltlicher Substanz kann sie eine differenzierte Debatte anstossen und Reichweite deutlich erhöhen. 

3.     Fragmentierung der Öffentlichkeiten 
Die Auflösung zentraler Gatekeeper und die Pluralisierung öffentlicher Diskurse verlangen von der PR eine differenziertere Kommunikationslogik. Zielgruppenspezifische Dialogformate und partizipative Kommunikationsansätze gewinnen an Bedeutung.  

Ein aktuelles Beispiel liefert das US-Techunternehmen Astronomer: Nachdem ein Video des CEO und der HR-Chefin bei einem Konzert in eine virale, potenziell imageschädliche Debatte mündete, reagierte das Unternehmen mit einer ungewöhnlich kreativen Strategie. Statt sich zu rechtfertigen, lancierte es eine humorvolle Kampagne, die das virale Ereignis indirekt aufgriff. Der Werbespot nahm den Kontext augenzwinkernd auf, ohne den Vorfall explizit zu erwähnen und lenkte den Fokus geschickt auf die Innovationskraft des Unternehmens. Damit gelang nicht nur eine Entschärfung der Situation, sondern auch eine strategische Umdeutung, die in der öffentlichen Wahrnehmung positiv verankert wurde. Der Spot verhalf der Marke nicht nur zu Aufmerksamkeit, sondern auch zu einer glaubwürdigeren, menschlicheren Positionierung.  

Der Fall zeigt, dass anschlussfähige Kommunikation heute nicht über Kontrolle, sondern über kulturelles Feingefühl und narrative Intelligenz funktioniert. 

4.     Chancen und Grenzen der Automatisierung 
Künstliche Intelligenz unterstützt zunehmend die operative Kommunikationsarbeit – von der Erstellung von Inhalten über Medien- und Wettbewerbsanalysen bis hin zur Krisenfrüherkennung. Diese Effizienzgewinne sind unbestritten. Wichtig ist jedoch: KI bleibt Werkzeug, keine Entscheidung. Gerade bei gesellschaftlich sensiblen Themen sind menschliches Urteilsvermögen und ethische Reflexion unverzichtbar. 

Ein praxisnahes Beispiel bietet hier eine Schweizer Grossorganisation, die ein sogenanntes Corporate Newsroom-Modell eingeführt hat. In Interviews mit Kommunikationsverantwortlichen zeigte sich: KI wird dort eingesetzt, um Routineaufgaben zu automatisieren und Daten automatisch in Tages-Boards und Botschaftsentwürfe einzuspeisen. Mitarbeitende prüfen diese Entwürfe redaktionell und adaptieren sie passgenau an Tonalität, Kontext und strategischen Zweck. Das Modell kombiniert Effizienz mit menschlicher Kontrollschleife und bewahrt so Integrität und Relevanz der Kommunikation. 

5.     Reaktionsfähigkeit bei gleichzeitiger Tiefenschärfe 
Digitale Plattformen verlangen schnelle Reaktionen in Echtzeit. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an juristische Sorgfalt, inhaltliche Korrektheit und interne Abstimmungsprozesse. Ein duales Kommunikationsmodell – schnelle Erstreaktion kombiniert mit fundierter Nachbearbeitung – wird zunehmend zum Standard. 
 
Während der COVID-19-Pandemie verfolgten Kommunikationsverantwortliche bei grossen Mobilitätsunternehmen wie Deutsche Bahn, Lufthansa und Flixbus einen differenzierten Ansatz in der Krisenkommunikation: 

  • Schnelle Erstansprache über soziale Medien erfolgte durch Mitarbeitende oder Fachexpertinnen und -experten: verständlich, persönlich und unmittelbar. 
  • Fundierte Nachkommunikation durch institutionelle Kanäle (zum Beispiel Pressemitteilungen, offizielle Websites) setzte dann auf geprüfte Sprache, juristische Präzision und strategische Abstimmung. 

Studien zeigen, dass Tweets von Expertinnen und Experten erheblich höhere Interaktionsraten erzielten als Beiträge offizieller Behördenstellen, deren Inhalte zwar formal korrekt, aber weniger dialogorientiert waren. Dieses Modell demonstriert, wie Organisationen in Deutschland durch fluides Zusammenspiel von Agilität und Sorgfalt Präsenz und Glaubwürdigkeit gleichermassen gewährleisten können. 

6.     Kontinuität in der Krisenkommunikation 
Angesichts eines anhaltend volatilen Umfelds – geprägt durch Klimakrisen, geopolitische Spannungen und gesellschaftliche Polarisierung – genügt klassische Krisenkommunikation nicht mehr. Statt punktueller Reaktionen ist eine dauerhafte Dialogfähigkeit gefragt. Das erfordert strukturelle Anpassungen sowie eine kommunikative Grundhaltung, die auf Transparenz, Empathie und Konsistenz setzt. 
 
Ein Beispiel aus dem deutschen Lebensmittelhandel verdeutlicht diesen Anspruch: Nach der Veröffentlichung von Enthüllungsvideos über gravierende Missstände bei Geflügel-Lieferbetrieben in Deutschland, Österreich und Italien stand Lidl unter massivem öffentlichen Druck. Die Aufnahmen dokumentierten deformierte, teilnahmslose Tiere in kritischen Haltungsbedingungen. Lidl reagierte nicht nur mit kurzfristigen Stellungnahmen, sondern etablierte einen längerfristig angelegten Kommunikations- und Reformprozess. Neben der unmittelbaren Reaktion, inklusive klarer Distanzierung, interner Prüfungen und öffentlicher Entschuldigung, folgten strukturelle Anpassungen: unter anderem die Ankündigung eines Ausstiegs aus der Nutzung schnell wachsender Tierlinien und die Einführung höherer Tierschutzstandards ab 2024. Die Kommunikation wurde begleitet durch regelmässige Fortschrittsberichte und Formate zum Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren.  

Dieses Beispiel zeigt, wie kontinuierliche Krisenkommunikation als lernender Prozess gestaltet werden kann, nicht primär reaktiv, sondern strategisch und integrativ. 

7.     Kompetenzwandel in der Profession 
Parallel zum Fachkräftemangel in Deutschland stellen auch in der Schweiz Kommunikations- und PR-Berufe eine herausfordernde Fachrichtung dar. Laut dem Swiss Skills Shortage Index 2024 der Adecco Group befindet sich die Berufsgruppe der ICTFachkräfte (SoftwareEntwicklerinnen, Data Analysts, IT-Spezialistinnen) weiterhin unter erheblichem Stress – trotz eines leichten Rückgangs gegenüber dem Vorjahr. Besonders betroffen sind Regionen mit hoher Digitalwirtschaft wie die Nordwestschweiz  

Der Stellenmarkt-Monitor der Universität Zürich weist darauf hin, dass Kommunikationsberufe in der Deutschschweiz – im Gegensatz zu vielen anderen Fields – durchaus unter Mitarbeitermangel leiden. In der Westschweiz und im Tessin hingegen ist der Engpass in diesem Bereich deutlich geringer ausgeprägt  

Diese Situation verlagert den Bedarf in Richtung hybrider Fachprofile: Rollen wie «Digital PR Analyst», «AIgestützter Content Creator» oder «Ethical Communications Manager» werden zunehmend relevant. Sie kombinieren Technologieverständnis, narratives Design und gesellschaftliche Verantwortung.

Erste Analysen zeigen, dass Unternehmen, die gezielt in Upskilling und Reskilling investieren – beispielsweise durch vertiefende Schulungen zu Datenvisualisierung, Ethical Storytelling oder KI-Tools – ihre Mitarbeitenden besser binden und Innovationskraft stärken. Bereits über die Hälfte der KMU in der Schweiz hält moderne Kompetenzmodelle heute für entscheidend – obwohl noch weniger als 25 % konkrete Programme implementiert haben. 

8.     Wirkungsmessung im Zeichen strategischer Legitimation 
Die Frage nach dem «Return on Communication» gewinnt weiter an Relevanz. Klassische Kennzahlen wie Reichweite oder Medienresonanz greifen oft zu kurz. Zunehmend werden qualitative Indikatoren wie Vertrauen, Dialogtiefe oder Themenführerschaft herangezogen. Die Herausforderung liegt in der Entwicklung integrativer Messmodelle, die sowohl quantitative als auch qualitative Wirkdimensionen abbilden. 

Ein Best-Practice-Beispiel liefert UNICEF mit ihrem globalen Kommunikations-Messrahmen. Dieses System kombiniert Zielsetzungsmodelle (Output, Outcome, Impact) mit spezifischen KPIs für verschiedene Publikumsschichten und Ebenen. Es umfasst neben quantitativen Daten wie Erwähnungsvolumen auch qualitative Bewertungselemente: Stakeholder-Interviews, Fokusgruppen, Narrativeanalysen sowie Rückmeldungen aus Dialogformaten mit Partnern. In der Umsetzung arbeitet UNICEF nach einem «Glocal Impact»-Ansatz – globale Ziele werden lokal angepasst und evaluiert, wodurch Konsistenz und Lernfähigkeit über verschiedene Länder hinweg gewährleistet werden. Am Ende entsteht ein umfassender Überblick: Quantifizierbare Reichweite plus Indikatoren zur Vertrauensentwicklung, Themenwahrnehmung und Dialogwirkung. Dieser Ansatz entspricht exakt den aktuellen Barcelona Principles 3.0, nach denen PR-Messung qualitativ ebenso legitime Dimensionen berücksichtigen muss wie reine Output-Metriken. 

Fazit 
Die kommerzielle PR befindet sich in einem strukturellen Wandel, der nicht nur neue Tools und Kanäle, sondern auch ein neues Selbstverständnis verlangt. Kommunikation wird zur strategischen Schlüsselressource – mit Verantwortung gegenüber Öffentlichkeit, Organisation und Gesellschaft. Wer diesen Wandel aktiv gestaltet, kann PR als gestaltende Instanz im Unternehmen positionieren. Wer ihn ignoriert, riskiert den Verlust an Relevanz in einer zunehmend diskursorientierten Welt. 

 

 

 

Quellen: 

https://time.com/3423136/tylenol-deaths-1982/ 

https://www.businessinsider.com/astronomer-coldplay-viral-video-gwyneth-paltrow-ryan-reynolds-maximum-effort-2025-7 

https://www.eurogroupforanimals.org/news/lidl-germany-phase-out-fast-growing-chickens 

https://determ.com/blog/pr-statistics-2024/ 

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0363811122001382 

https://de.wikipedia.org/wiki/Fachkräftemangel 

https://amecorg.com/barcelona-principles-3-0/ 

https://ndl.ethernet.edu.et/bitstream/123456789/35870/1/33.pdf 

 

Literaturverzeichnis 

Adecco Group (2024): «Swiss Skills Shortage Index 2024», online unter: 
https://www.adeccogroup.com/-/media/project/adecco-group/switzerland/swiss-skills-shortage/2024/files/press-release_switzerland_2024.pdf 

 AMEC (2020): «Barcelona Principles 3.0», online unter: 
https://amecorg.com/barcelona-principles-3-0/ 

Astronomer (2025): «How a tech company turned a viral HR scandal into a marketing win», Business Insider, online unter: https://www.businessinsider.com/astronomer-coldplay-viral-video-gwyneth-paltrow-ryan-reynolds-maximum-effort-2025-7 

Digitalswitzerland (2024): «Skills Shortages in Switzerland», online unter: 
https://digitalswitzerland.com/skills-shortages-switzerland/ 

Determ (2024): «PR Statistics for 2024», online unter: 
https://determ.com/blog/pr-statistics-2024/ 

Eurogroup for Animals (2024): «Lidl Germany to phase out fast-growing chickens», online unter: https://www.eurogroupforanimals.org/news/lidl-germany-phase-out-fast-growing-chickens 

Publicjobs.ch (2023): «Fachkräftemangel in der Schweiz – regionale Unterschiede», online unter: https://www.publicjobs.ch/informationen/Arbeitssuchende/Fachkr%C3%A4ftemangel%2Bin%2Bder%2BSchweiz/~art448/ 

ScienceDirect (2022): «Changing PR job requirements: A content analysis of position listings», online unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0363811122001382 

Sprung.ch (2024): «Fachkräftemangel in der Schweiz: Strategien zur Bewältigung», online unter: https://www.sprung.ch/post/fachkraftemangel-in-der-schweiz-strategien-zur-bewaltigung-der-herausforderungen 

Time Magazine (2014): «The Tylenol Murders, 1982», online unter: https://time.com/3423136/tylenol-deaths-1982/ 

Wikipedia (2024): «Fachkräftemangel», online unter: 
https://de.wikipedia.org/wiki/Fachkräftemangel 

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (o. J.): «UNICEF Kommunikationsrahmen», via: https://ndl.ethernet.edu.et/bitstream/123456789/35870/1/33.pdf 

 

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